Eine Reise, die ich nie vergessen werde

29 12 2007

Ich sitze mit warmen Socken, die meine Oma gestrickt hat und einem dicken Pullover (japanische Wohnungen sind kalt im Winter) auf dem Bett, in dem sie noch schläft, schreibe auf ihrem Laptop, auf dem sich japanische und lateinische Schriftzeichen die Hand geben, und versuche, die letzten Tage revue passieren zu lassen. Draussen bellt ab und zu ein Hund, ansonsten ist es sehr ruhig, Viele Japaner haben jetzt frei. Eigentlich sollte ich Todmüde sein, husten und niesen, und mit starkem Fieber im Bett liegen. Warum bin ich so wach, dass ich nicht mehr schlafen kann? In Deutschland ist es 2h nachts, hier ist es 10h morgens, daran kanns also nicht liegen. Wahrscheinlich ist es einfach ein Überdrehungseffekt.

Nachdem ich den vorletzten Eintrag aus dem Hotel geschrieben hatte, ging ich wieder auf mein Zimmer und legte mich schlafen, denn die Nacht davor war eher kurz. Als ich drei Stunden später wach wurde, war ich unschlüssig, ob es sich lohnen würde aufzustehen. Angesichts einer, ausser harten Alkoholika, leeren Minibar und einem sogar noch leereren Magen, weil ganz ohne Alkoholika, beschloss ich nachzusehen ob es noch Mittagessen gab. In der Lobby angekommen musste ich feststellen dass ich 20 Minuten zu spät war. Dann wollte ich eigentlich ins Internet, die zwei Netzplätze waren aber von Mitgefangenen besetzt. Ich fragte also aus langeweile ein drittes mal, ob es neue Informationen zum Flug gäbe. Die Angestellte wies auf ihren Kollegen mit dem Hinweis, er telefoniere gerade mit Finnair, fragte mich nach meinem Namen, und gab ihn dem genannten Kollegen durch, der sich erkundigte. Ich war sehr gespannt…

Zu meiner größten und positiven Überraschung teilte er mir mit, dass es einen Flug gäbe… In 30 Minuten gehe es los, ich solle meine Sachen packen und loslaufen. So schnell habe ich trotz Hunger und Grippe noch nie gepackt. Ich rannte so schnell es mir der sauschwere Koffer erlaubte aus dem Hotel, ohne noch auszuchecken (die Schlüsselkarte habe ich immer noch… Das heisst, nein, sie ist im Portmonnaie, dazu später mehr), und zum Flughafen. Völlig ausser Atem versuchte ich einer Finnairangestellten zu erklären was passiert war, und das ich sofort zu dem Flugzeug müsse. Streng die Vorschriften einhaltend machte sie mich darauf aufmerksam, dass ich eigentlich ja 2 Stunden vor Abflug einchecken müsse, und wo denn mein Ticket sei, bis ich endlich alles mehr oder weniger geduldig erklärt hatte. Sie rief irgendwen an, und sagte mir dann, dass es ihr leid tue, das Gate sei schon geschlossen, der Shuttlebus abgefahren. Auf Nachfrage erklärte sie, dass es auch keinen anderen unbürokratischen Weg zum boardenden Flugzeug mehr gäbe, und schickte mich zum Finnair-Ticketoffice.

Total entnervt machte ich mich, den schweren Koffer immer hinter mir her schleppend, auf die Suche nach dem besagte Office, was ich nach einigem Fragen auch endlich fand. Wieder erklärte ich geduldig meine Situation, und die Angestellte suchte im Computer nach Routen, telefonierte, und wurde plötzlich sehr hektisch. Es gäbe einen Flug, der sehr bald gehe, sie müsse mich nur noch auf die Passagierliste bekommen. Ob ich ein Problem habe nach Osaka zu fliegen? Ich müsste dann das Zugticket vorstrecken, weil sie das jetzt nicht mehr organisieren können… Mir war alles Recht, so lange ich aus dieser verfluchten Stadt käme… Hochkonzentriert und fluchend rannte sie zwischen 3 Computern und diversen Kollegen hin- und her, es gab wohl irgendwelche technischen Schwierigkeiten. Endlich war mein Ticket ausgedruckt, und ich auf dem Weg zum Checkin-Schalter, um mein Gepäck noch aufzugeben. Die gleiche Angestellte wie beim letzten mal machte mich pflichtbewusst darauf aufmerksam, dass da eine (sehr lange) Schlange wäre, an der ich mich anstellen solle… Nahm mein Gepäck aber an, nachdem ich sie deutlich auf meine baldige Abflugzeit hinwies.

Nach einem Sicherheitscheck von eher… gemütlichen Sicherheitsbeamten rannte ich so schnell es der belebte Flughafen erlaubte zum Gate – und schaffte es. 10 Minuten später war ich tatsächlich in einem Flugzeug, auf dem letzten der letzten Plätze zwar, ohne eigenen Fernseher, und in der mittleren Sitzreihe in der Mitte… Mir war alles egal.

Der Flug war natürlich grauenhaft. Ich konnte nicht schlafen, mir war heiss, ich hatte ständig Durst, wollte aber nicht meine japanische Sitznachbarin wecken (die übrigens, wie sich später rausstellte, in Hamburg in einem japanischen Restaurant arbeitet), fühlte mich Krank und hatte Hummeln im Hintern. Gleichzeitig schliefen meine Beine ein und hinter mir saß ein Typ, der seine Zeitung auf meinem Kopf abstützte. Das Essen war die gleiche Pampe wie bei dem gescheiterten Flug und sättigte mich nicht wirklich und der Whisky, für den ich 4€ löhnen musste, machte mich nicht müde, mir wurde eher ein bisschen übel.

Nach 12 Jahren Flugzeit landeten wir in Osaka, wo ich meine Fingerabdrücke als Beitrag für den Kampf gegen den Terror ließ, aber erstaunlicherweise durch die Zollkontrolle durchgewunken wurde. Ich war in Japan!

Ich schleppte mich und meinen Koffer zum Bahnschalter, nachdem ich sie angerufen hatte, wo mir ein sehr hektischer und nervöser Beamter trotz Sprachproblemen das Zugticket ausstellte. Ich wartete nur kurze Zeit in einem übertrieben geheizten Warteraum, und stieg in den Zug, der mich zum Hauptbahnhof von Osaka brachte. Osaka stellte sich aus dem Zugfenster heraus als ein Moloch dar. Der Shinkansen, in den ich stieg, raste durch die Landschaft… Oder vielmehr Stadtschaft, denn unbesiedelte Fläche habe ich eigentlich auf dem Weg nicht gesehen. Ich habe ein bisschen Video gemacht, stelle ich vielleicht später mal rein. Etwas anderes, als Apathisch aus dem Fenster zu schauen, war mir übrigens nicht mehr möglich.

Plötzlich war der Zug in Nagoya, ich musste mich beeilen auszusteigen. Beim Verlassen des Shinkansen-Bereiches im Bahnhof muss man durch eine Schranke, die das Ticket schluckt. Ich hatte mein Ticket im Portmonnaie, und ich merkte bald, dass mein Portmonnaie mit dem Zug weiter nach Tokyo fuhr… Ich war verzweifelt. In einem Land, in dem praktisch niemand Englisch sprach, total fertig, mit einem sauschweren Koffer am Arsch, ohne Kohle, Kredikarte, alles. Ausgangskontrolleurin, Informationspunktmenschen, dem Station Manager (!) und schliesslich dem Lost&Found Office musste ich meine Geschichte mit Händen und Füssen erzählen. Mein Portmonnaie war schon gefunden worden, und es wird zu ihrer Wohnung geschickt werden. Das war also endlich irgendwann geklärt.

Ich musste nur noch nach Nishiharu kommen, der Stadtteil (eigentlich eine eigene Stadt), in dem Sie wohnt, ziemlich weit weg… An laufen war nicht zu denken, mit dem scheiß Koffer schon garnicht. Ich hatte in meiner Tasche noch 8 € in Kleingeld, und ging zur Bank, in der Hoffnung, es in die für das Ticket erforderlichen Yen zu tauschen. Aber nix. Kleingeld wird nicht getauscht. Ich hatte nicht mal Geld, um Sie anzurufen. Ich überlegte schon, Passanten anzuschnorren, verwarf den Gedanken aber bei den Sprachproblemen. Ich verfluchte kein japanisch zu sprechen. Ich versuchte es schliesslich direkt bei den Bahnangestellten, und nachdem ich meine Geschichte erzählt hatte (eine Frau sprach tatsächlich gutes Englisch), erweichte sich der ansonsten sehr auf Korrektheit bedachte zuständige Bahnangestellte, und gab mir ein ausserordentliches Ticket, das ich später bezahlen sollte.

An die 500 Meter zwischen Bahnhof Nishiharu und ihre Wohnung erinnere ich mich nicht mehr… Ich lag sofort im Bett und schlief nach dem „Angekommen“-Blogeintrag ein. Irgendwann kam Sie nachhause, und die Welt wurde wieder schön. Ich aß, badete mich, trank Kaffee, und war wieder einigermassen Wach, obwohl ich nur 3 Stunden geschlafen hatte. Ich rechnete aus wie lange ich von Bremen hierher gebraucht habe: Ich bin auf 54 Stunden gekommen. Das nächste mal fahre ich wirklich besser mit dem Zug…

Wir sind sogar noch auf eine Party gegangen, wo ich einige Bekannte wiedertraf (z.B. Jin), und neue Leute kennenlernte, wie Bryce, einen Franzosen, der vor 5 Jahren „für 3 Monate“ nach Japan gekommen war. Ich liess mir Bier und (sogar heissen) Sake schmecken und amüsierte mich prächtig. Ich weiss immer noch nicht warum ich nicht tot in der Ecke lag. Es ging mir einfach gut. Um 4 Uhr Nachts kamen wir wieder nach hause, und schliefen dann auch bald ein. Ich habe nur 5 Stunden geschlafen, und bin fit wie ein Turnschuh. Ich fühle mich gesund. Neben mir liegt eine schöne Frau und schläft friedlich. Ja, mir gehts gut. 🙂


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6 responses

30 12 2007
luna

Du bist ein chaotischer Romantiker, der besser auf seine sieben Sachen aufpassen sollte. Das Chaotische bringt irgendwie Pepp in Dein Leben. Und so liebe ich Dich eben. Genieße den Augenblick, er kommt nicht wieder. Grüße an Yuko.

30 12 2007
Päddel

Ja wie geil is das denn alles? So ne hammer-Story und dass schon gleich am Anfang… Ich wünsch dir ne super Zeit und uns hier natürlich auch 😉 Grüße an Yuko und dich!!!

30 12 2007
viv

hach… *schnüff* wie romantisch!
dann hoff ich mal, dass das die letzte Katastrophen-Geschichte war, fürs erste! Spätestens wenn du bei deinem nächsten Trip mit der Transsibirischen Eisenbahn lostuckerst, werden wir ja wieder genug Ängste auszustehen haben 😉

30 12 2007
Anonymous

hehe. schöne geschichte 🙂
wünsch dir ne gute zeit und hab spaß!

30 12 2007
Erik

Ich lese eifrig mit Fre und wir freuen uns an deiner aufregenden Reise 😉
Besuch mal ein Fußballspiel wenn du schon da bist 😀

1 01 2008
David

Ja….öh…ich weiß jetzt nicht was ich schreiben soll, um meine Freundlichkeit zu bewahren…
Wie kommt es, dass in deinem Reiseblog mehr lesen muss als ich in einem Semester für die Uni?^^

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